CZERNOWITZ: Jüdische Stadt deutscher Sprache

Teil I:
Mein langer Weg nach Czernowitz






KDStV Frankonia Czernowitz zu Erlangen










Wappen Österreich-Ungarn











Jugendstil-Fresko am Ringplatz in Czernowitz







Celan-Büste in Czernowitz








Karl Emil Franzos
Die Juden von Barnow

Wann Czernowitz als Begriff erstmalig mein Interesse geweckt und mich neugierig gemacht hat, weiß ich nicht mehr.Möglich, daß das in den späten 1990ern geschehen ist, als ich an der Konzeption der Chronik meiner Korporation zu deren 100. Stiftungsfest werkelte. Damals beeindruckte mich eine Aussage eines Festredners anläßlich eines CV-Kommerses im München:
"Die vertriebenen, entwurzelten Verbindungen sind die wahren Bewahrer und Hüter des CV".   So wie meine Verbindung 1918/1919 das Elsass verlassen mußte, so gehörte auch die Frankonia aus Czernowitz zu den 'Entwurzelten'.
CZERNOWITZ ?


Nach einer Entdeckungsreise durch die polnischen Woiwodschaften Malopolskie und Podkarpackie entwickelte sich eine rege Korrespondenz mit einem guten Freund und Bundesbruder aus Wien, einem Bewunderer der Habsburger Monarchie.
Er schrieb: "Am alten Habsburgerreich hänge ich, nicht wegen der Habsburger, nicht wegen Wien oder sonst etwas, sondern wegen ganz  anderem: Die Habsburger haben es damals geschafft, alle Völker und  Kulturen zu respektieren, zu belassen, zu fördern und irgendwie zu  integrieren. Es entstand ein einziger Raum des Austauschs, des Handels, der Mobilität, des Rechts, des Geldes, der Kultur. Überall im Habsburgerreich explodierte die Wirtschaft, die Kultur, die Industrie, die Landwirtschaft, die Kunst, die Wissenschaften, die Literatur; in Slawonien wie in Slowenien, in Venetien wie in Kroatien, wie in Prag, Wien, Budapest. Diese Freizügigkeit war ein Gewinn für alle und jeden. Lingua franca war das Deutsche." Vergessen zu erwähnen hat er die östlichsten Kronländer Galizien und Bukowina mit ihren Metropolen Lemberg und
CZERNOWITZ.


Eigentlich viel zu spät haben wir begonnen, Jugendstilobjekte zu sammeln. Gleichzeitig mit der Sammlung stieg unser Interesse an die Architektur dieser Periode, in der die 'Leichigkeit des Seins' brachial über die strenge Formensprache des Historismus hereinbrach und ein völlig neues Lebensgefühl vermittelte.
Riga, Darmstadt, Brüssel, Glasgow, Paris, Barcelona und nicht zuletzt das Wien der Sezession wurden bevorzugte Reiseziele. Dann folgten Nebenschauplätze: München, Weimar, Nancy, Budapest. Wir lasen und hörten und erfuhren von immer entlegeneren Regionen, in denen der Jugendsil seine Spuren hinterlassen hatte. So auch in
CZERNOWITZ.


Als junger Mensch hatte ich trotz meines Literaturstudiums keinen Zugang zur Lyrik. Das war mir wie vielen meiner Altersgenossen alles zu quängelig und hatte mit unseren vitalen, alterbedingten Interessen nichts gemein. Den Rest an vielleicht noch vorhandem Interesse gaben mir die unsäglich langweiligen Interpretationsversuche: Vokalhamonielehre, das Zählen von 'hellen' und 'dumpfen' Vokalen. Erbsenzählerei anstelle von emotionaler Empfindung. 
 Erst sehr, sehr viel später, eigentlich erst im hohen Alter, erwachte ein Interesse an der Lyrik. Das hatte zur Folge, daß ich zwangsläufig auf die Protagonisten der deutschen Lyrik des 20. Jahrhunderts stieß. Und das waren Paul Celan und Rose Ausländer aus
CZERNOWITZ


Keine Lyrik also. Dafür standen im Vordergrund meines Interesses umso stärker die Autoren der Nach-Jahrhundertwende, deren schonungslose Gesellschaftskritik und teilweise brutaler Realismus mich faszinierte, wenn auch ihr literarischer Rang nicht bei allen unumstritten ist: Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Alfred Döblin, Jakob Wassermann, Leo Perutz, Joseph Roth. Die nun einmal vorgezeichnete Spur führte mich weiter zu Elias Canetti und Albert Drach.
 Auf dem Weg dorthin war ich auf Karl Emil Franzos gestoßen und die so fremd-exotische Welt des osteuropäischen Judentums. 1978 erhielt Isaac Bashevis Singer den Literaturnobelpreis und ich las seine Bücher und die seines Bruders. Jahrzehnte später, nach unserer Reise durch Südpolen, griff ich erneut zu Karl Emil Franzos, las den 'Pojaz', 'Die Juden von Barnow', 'Halb-Asien'. Und begegnete viel bewußter dem Lebensraum seiner Protagonisten: der Bukowina und ihrer Kapitale 
CZERNOWITZ.

Verwundert es, daß CZERNOWITZ auf der Agenda der 'Sehnsuchtsziele' immer weiter nach oben rutschte?


Last Call: Czernowitz

Fest stand, daß wir uns in dem Moment, in dem sich eine preisgünstige und problemlose Anreisemöglichkeit in die Westukraine bieten würde, aufbrechen würden. Doch obwohl WizzAir bereits vor einiger Zeit den Liniendienst von Dortmund nach Lemberg aufgenommen hatte, scheuten wir die relativ mühsame Bahnreise von dort nach Czernowitz.

Im Frühjahr 2013 waren wir dann soweit, mit der Planung zu beginnen, um bald festzustellen, daß uns das (kleine) Angebot tourstischer Literatur nicht weiterbringen würde. Also begaben wir uns auf die Suche nach Dokumentationen aus den Jahrzehnten, in denen CZERNOWITZ zu den blühendsten Städten der Habsburger Monarchie gehörte, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis 1918.


Und stießen auf ein Büchlein Mein altes Czernowitz aus der Feder der in Czernowitz geborenen und aufgewachsenen Schriftstellerin Hedwig Brenner, die heute, fünfundneunzigjährig, in Haifa lebt. Dankbar und liebevoll schildert sie ihre friedvollen Kindheits- und Jugendjahre. Sie berichtet dann von den harten, unwürdigen Lebensumständen während der Kriegs- und Nachkriegsjahre bis zu ihrer Emigration nach Rumänien.



Das Bändchen ist damit nicht nur eine Bestandsaufnahme der "guten - und schlechten - alten Zeit" . Es ist mit all seinen Facetten der beste Führer durch die Stadt, den man sich denken kann. Da Hedwig Brenner die alten, deutschen Staßennamen benutzt, hieß es, sich einen deutschsprachigen Stadtplan zu beschaffen. Den fanden wir in dem
Illustrierter Führer durch die Bukowina von 1907
.


Jedoch wäre eine Vorbereitung damit allein der wechselvollen Geschichte diese Stadt nicht gerecht geworden. Eine Vielzahl von Quellen haben wir ausgeschöpft, aufbereitet und in unseren eBooks abgespeichert


Das also wurde unser Ansatz, uns auf CZERNOWITZ vorzubereiten. Aus der aufgefundenen Literatur und themenbezogenen Artikeln habe ich auf über 200 Seiten die "Czernowitzer Geschichte" zusammengestellt:
"Czernowitz, Stadt der versunkenen Kulturschätze"
So ausgerüstet zogen wir aus, um all dem nachzuspüren, um zu sehen und zu verstehen und um uns der Herausforderung an unsere Vorstellungskraft zu stellen.

Wir flogen nach Lemberg, blieben dort 60 Stunden und machten uns auf die

270 km von Lemberg nach Czernowitz


So wird sie beworben, die Ukrainische Staatsbahn
Hinfahrt
Plan: 17:12h / 22.50h
Ist: 17:12h / 23:15h


Rückfahrt
Plan: 19:02h / 23:34h
Ist: 20:12h / 00:07h

Und das ist die rauhe Wirklichkeit

Uhrzeit 17:22h

Endstation Czernowitz

Uhrzeit 22:44h



Teil II:
Czernowitz, jüdische Stadt deutscher Sprache

Israel Chalfen in "Paul Celan, eine Biographie seiner Jugend"

Czernowitz, ehedem habsburgische Metropole in der Bukowina, die "Stadt, in der Menschen und Bücher lebten" Im Verlauf der letzten 150 Jahre auch Tschernowitz, Tscherniwzi, Cernauti, Czerniowce. Einst moldauisch, dann polnisch, österreich-ungarisch-habsburgisch, russisch, rumänisch, sowjetisch. Jetzt CHERNIVTSI in der Ukraine. Bis 1940 besiedelt von Juden, Deutschen, Polen, Armeniern, Ruthenen, Russen und Rumänen.
Vor knapp 100 Jahren endete die Hoch- und Blütezeit der knapp 150 Jahre währenden Herrschaft der Habsburger im Osten Mitteleuropas. Deren effizientes Verwaltungssystem, ihre Selbstverpflichtung zur Bildungsförderung und die deutsche Sprache waren die Bindeglieder, die den Vielvölkerstaat zusammenhielten und deren Zeugnisse selbst Jahrzehnte nach seinem Untergang 1918 noch überall sichtbar sind.
Die Stadtbilder von Lemberg und Czernowitz, dem äußersten östlichen Vorposten der Monarchie, sind heute noch geprägt von habsburgischer Architektur und städteplanerischen Prinzipien.



1900: Ringplatz (vlnr: Herrengasse, Rathausstraße, Rathaus)
Ringplatz
mit Rathaus
Landhausgasse Theater Herrengasse, Richtung Ringplatz Landesregierung
"Schiffhaus" Ecke Judengasse Jüdisches Haus jetzt Museum Herrengasse Ecke RingplatzEnzenberg-Hauptstrasse Mehlplatz ehem. Hotel Bristol

"Die heutigen Bewohner, Ukrainer, scheinen nicht zu den K.u.K.-Häuschen passen zu wollen, in denen sie leben. Eine schöne Stadt mit Menschen, die nie lächeln, grobe Gesichter haben und angezogen sind wie aus dem Billig-Supermarkt. Als wären die eigentlichen Besitzer ausgezogen, und das Personal hätte das Regiment übernommen. Und ein bisschen ist es ja auch so."
aus einem Interview mit Josef Burg in der FAZ vom 18.12.2008



Ein wunderschöner, unaufgeregter Herbsttag in Czernowitz, so wie wir ihn Ende September auch erlebt haben


Der Autor Vladyslav Kozlovskyy schreibt dazu: "The best city on the Earth presents tiny moments of its unique beauty, decorated by Golden Autumn. My dear Chernivtsi, how beautiful you are ! How much I love you! Flourish my hometown!"

Dank an Hardy Breier, der das Video über die Czernowitz-Liste versandt hat

Neben der Politik der Habsburger war es das jüdische Element, dem der immense Aufschwung auf geistig-kultureller Ebene zu verdanken ist. Die Juden Galiziens und der Bukowina fühlten sich von den Metropolen magisch angezogen, weil sie die Chance erkannt hatten, hier, abseits ihrer ärmlichen Stetlwelt, Auskommen und -bildung und damit Anschluß an das Bürgertum der Wiener Monarchie zu finden.
In diesen Jahren entwickelte sich CZERNOWITZ zu einer K.u.K.-Provinzmetropole, die den Vergleich mit den Landeshauptstädten im Kernland, sei es Linz, Graz, oder Innsbruck, nicht zu scheuen brauchte. Im Gegenteil. Durch die rasch anwachsende Bevökerungszahl, darunter ein überdimensional hoher jüdischer Anteil, der sich durch den Hunger nach Bildung und Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung auszeichnete, entstand folgerichtig und zwingend ein breitgefächertes Ausbildungsangebot, daß selbst in den österreichischen Kernlanden seinesgleichen suchte.
Diese großzügige und flächendeckende Errichtung unterschiedlichster, allen Bevölkerungsteilen offenstehender Bildungsanstalten, führte zu einem hohen Ausbildungsstand. Logische Konsequenz war sie Gründung der deutschsprachigen Universität Czernowitz und der Wiedergründung der Lemberger Universität. Hiermit wurde die Grundlage geschaffen, auch den unbegüterten Untertanen den akademischen Weg zu ebnen. Wie intensiv gerade die jüdische Bevölkerungsgruppe von diesem Angebot machte, zeigen die Zahlen: Um 1880 betrug der jüdische Bevölkerungsanteil in Czernowitz ca. 30% und in der Bukowina ca. 12%. Der Anteil jüdischer Studenten an der Czernowitzer Universität betrug dagegen 41%.
ehem. Universität von 1885 (aufgen. 2013)



Die ehemalige Residenz des Metropoliten der orthodoxen Kirche der Bukowina und Dalmatiens; heute Universität, erbaut 1864-1882

Auf diesem Nährboden entstand eine jüdische Elite in Wissenschaft und Literatur, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa höchstens noch in Paris, Berlin und Wien anzutreffen war. Paul Celan, der größte deutschsprachige Lyriker des 20. Jahrhunderts, nannte seine Geburtsstadt Czernowitz "Die Stadt, in der Menschen und Bücher lebten". Er, Rose Ausländer, Gregor von Rezzori und Edgar Hilsenrath sind die bekanntesten Poeten aus der bukowinischen Hauptstadt. Aber mit ihnen ist der Kreis der Czernowitzer Schriftsteller noch längst nicht erschöpft: Alfred Margul-Sperber, Alfred Gong, Selma Meerbaum-Eisinger, Immanuel Weißglas, Alfred Kittner, Moses Rosenkranz, Margit Bartfeld, Klara Blum und nicht zuletzt einer meiner Lieblingsschriftsteller, Karl Emil Franzos, sie alle stammen von hier.



Czernowitz - Stadt der Väter
Bisher war ich der festen Überzeugung, daß sich die Einwohner Kölns, der antiken CCAA, Tochter Roms und Freien Reichsstadt, in ihrer Liebe und Anhänglichkeit zu ihrer Vaterstadt von niemandem auf der Welt übertreffen lassen würden. Nachdem ich bei der Vorbereitung unserer Reise nach Galizien und in die Bukowina auf die Webseite der aus CZERNOWITZ vertriebenen Juden gestoßen bin, mußte ich diese Ansicht revidieren: Es sind die Kinder und Kindeskinder der Czernowitzer, die zusammen mit den wenigen Überlebenden auf einer eigenen, mit einem riesigen Datenvolumen ausgestatteten Website in einer unerreichten, unnachahmlichen Weise ihrer Liebe zur Heimat ihrer Väter Ausdruck verleihen. Listenmitglieder aus der ganzen Welt, aus Nord- und Südamerika, aus Australien und Südafrika, aus Israel und Europa tauschen sich hier aus, analysieren und kommentieren Ereignisse, recherchieren ihre genalogischen Wurzeln, bewundern und besprechen wieder entdeckte Archivalien, freuen sich über alte und neue Fotos, tauschen Neujahrs- und Geburtstagswünsche. In Englisch mit deutschen, jiddischen und hebräischen Einsprengseln. Die Lektüre der Czernowitz-Liste war für mich zum täglichen, immer wieder aufs Neue spannenden Erlebnis geworden. Zusammengehalten werden die Informationen und Kommentare nebst umfangreichem Datenmaterial über Czernowitz und die Bukowina auf der Website der Czernowitzer Ja, wir kamen gut vorbereitet in Czernowitz an. Als wir nach endlos langer Bahnfahrt gegen Mitternacht im Taxi saßen, habe ich die Fahrstrecke zum Hotel in Gedanken abspulen lassen: Vom Bahnhof aus links, dann eine weitgezogene Rechtskurve bevor es hügelaufwärts über die Enzenberg-Hauptstrasse Richtung Ringplatz geht. Unmittelbar davor abbbiegen nach links in die Landhausgasse. Dann noch 150 Meter bis zum Hotel." Ja, wir wären gut vorbereitet, dachten wir. Nach wenigen Schritten standen wir frühmorgens auf dem Ringplatz und tauchten sofort ein in das Musterexemplar einer habsburgischen Kleinstadt. Gefangen genommen von der Architektur einer längst vergangenen Epoche, erkundeten wir mit unserem deutschen Stadtplan in der Hand die einst blühende Metropole der Bukowina. Selbst das Kyrillisch konnte nicht irritieren.
Geschundene Menschen - Geschundenes Erbe
Was wir nicht sahen, war die jüdische Vergangenheit. Offenbar übersahen wir die die veritablen "Zeichen an der Wand", die die Zeitläufte überlebt haben. "Man erblickt nur, was man schon weiß". Nein, unsere Reisevorbereitungen sind doch nicht so detailgenau gewesen, wie gedacht. Auch wußte ich nicht mehr, was genau wir erwartet hatten. Aber Hedwig Brenners Lebenserinnerungen hatten sich so plastisch gelesen, daß vor unseren geistigen Augen die Straßen voller jüdischen Lebens hätten sein müssen.

Der Israelitische Tempel (Czernowitzer Hauptsynagoge) erbaut 1873-1878 ...

in Brand gesteckt von den Nazis von den Sowjets mißbraucht als Kino

Dieser Widerspruch löste sich erst durch den Besuch des Jüdischen Museum auf. Ab hier gerieten wir in einen Strudel, der uns immer tiefer in die jüdische Vergangenheit von Czernowitz zog: Der alte, verschandelte und mißbrauchte Tempel, durch die Judengasse ins Ghetto, in der Synagogengasse das Spital und in die Groisse Shil. Und dann zum verwilderten jüdischen Friedhof mit seinen 50.000 Gräbern. Und wir begannen, zu begreifen.
Das jüdische Museum; © Edgar Hauster's Blog


 Fresken

Im Frühjahr 2013 wurden durch Zufall in einem Seitenraum der alten Synagoge in der Unterstadt von Czernowitz, der "Groisse Shil", Fresken mit biblischen Motiven und Darstellungen Jerusalems entdeckt. Die "Groisse Shil" wird seit Sowjetzeiten als Tischlerei mißbraucht. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts war sie das religiöse Zentrum des jüdischen Viertels.
"Recently discovered Wall Paintings in the "Groisse Shil" of Czernowitz"
Im Jüdischen Museum ("Czernowitzer Museum für jüdische  Geschichte und Kultur der Bukowina") hatte uns Direktor Mykola Kuschnir in ungläubigem Staunen gefragt "Woher wissen Sie denn davon? Die Fresken sind doch erst vor einigen Monaten entdeckt worden?" und unsere Frage, ob man die Fresken besichtigen könne, mit einem "Jein" beantwortet. "Vielleicht, wenn der Inhaber der Tischlerei anwesend ist, vielleicht aber auch dann nicht." Das sei abhängig von den Arbeitsprozessen in der Tischlerei. "Und wenn der Inhaber nicht da ist?" "Dann," so meinte Herr Kuschnir, "haben Sie wohl keine Chance.
Also sind wir losmarschiert, haben die Synagogengasse gefunden und auch die "Groisse Shil". Im Hinterhof kommt ein Bär von Mann, offenbar der Vorarbeiter der Tischlerei, auf und zu und raunzt uns - wohl ahnend, was wir dort wollen - in barschem Ton auf Ukrainisch an und verweigert uns den Zugang zum Gebäude. Was uns nicht daran hinderte, einen anderen Eingang zu suchen und bei dem dort dösenden Wachmann um die Erlaubnis zum Betreten der Tischlerei zu bitten.
Durch den Lärm und den im Sonnenlicht flirrenden Holzstaub gelangten wir in den Nebenraum und konnten in aller Ruhe fotografieren, bis plötzlich der Bär vor uns stand und uns - wir glaubten es kaum - mit einem breiten Grinsen im Gesicht den Weg zur Tür wies. Ob er unsere Chuzpe bewundert hat?


Die "Groisse Shil" in der Synagogengasse, erbaut 1850



mittleres Bild © Marion Tauschwitz
Szenen aus dem Freskenfries, entstanden im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Das ZDF berichtete am 23.5.2012 über die Ukraine "Rendezvous mit dem wilden Osten". Darin befaßte sich eine längere Passage mit Czernowitz. Mit einem der letzten in Czernowitz lebenden Juden, dem Fotografen und Künstler Bronislav Tutelman, gehen wir über den großen jüdischen Friedhof (s.u.) und durch das ehemalige Ghetto mit der Synagoge "Groisse Shil" (s.o.)



Der Ausschnitt über Czernowitz wurde von Edgar Hauster im ehpes.com Blog gepostet

... und ein Friedhof
Der jüdische Friedhof an der Czernowitzer Zelenastraße ist mit 50.000 Gräbern aus den Jahren 1866 bis ins 7. Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auf 14 Hektar einer der größten Mittel- und Osteuropas. Mit dem Fortzug der letzten überlebenden Juden aus der Bukowina wurde der Friedhof zu einer 'toten' Ruhestätte. Die sowjetischen Behörden ließen die Anlage aus Prinzip verwildern, die junge ukrainische Republik änderte nichts an diesem Un-Zustand, sei es aus Geldmangel oder anderen Gründen.
Was ich aus eigener Anschauung während unseres Besuches im September 2013 und durch das Betrachten meiner Fotos nach Rückkehr sowie durch das Wiedererleben während der Aufbereitung meiner Erinnerungen für diesen Report gesehen, erlebt und erfahren hatte, konnte ich nachhaltig vertiefen und ausweiten durch die detaillierten Artikel des Themenkreises "The Czernowitz Jewish Cemetery" auf der bereits mehrfach erwähnten Website der Czernowitzer.

Unter "Mission Statement" wird im Einzelnen berichtet über den Zustand des Friedhofs nach der politischen Selbständigkeit der Ukraine nach 1991 und über die wenig erfolgreichen Bemühungen der städtischen Friedhofsverwaltung bei der Wiederherrichtung des völlig verwilderten und zugewachsenen Totenstätte, obwohl diese 1997 als "historisch-kulturelles Erbe" unter besonderen Schutz gestellt worden war.

Bis dann 2007 Mitglieder der "Czernowitz-Liste" die Initiative ergriffen und mit SVIT UKRAINE eine Organisation fanden, die willens war, eine Gruppe Freiwilliger zur Arbeit auf dem Friedhof zusammenzustellen. Diese 12 – 14 Jugendlichen aus aller Welt gingen 2008 ans Werk. 2009 organisierte SVIT UKRAINE einen zweiten Workshop, dem sich ein weiterer anschloß, diesmal organisiert von der deutschen "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste".

Doch wie sich alsbald herausstellte, reichte der gute Wille der jungen Menschen bei weitem nicht aus, das riesige Areal der 50.000 Grabstellen dauerhaft vom Bewuchs zu befreien, besonders, weil keine Genehmigung erwirkt werden konnte, Herbizide einzusetzen.

So reifte unter den Mitgliedern der Czernowitz-Liste der Gedanke, einen Fond einzurichten, aus dem die Löhne für lokal anzuheuernde Arbeiter gezahlt werden könnten. Konsequenterweise entstand 2009 hieraus die "Czernowitz Jewish Cemetery Restoration Organization" kurz "CJCRO", deren einziger Satzungszweck die Wiederherstellung des jüdischen Friedhofs von Czernowitz ist.

Umfangreiches Bildmaterial, das den Zustand des Friedhofs vor und nach den Entgrünungsaktionen zeigt, wurde von Mr. und Mrs. Taylor Zusammengestellt
Galerie I und Galerie II zusammengetragen.

Parallel zu der verdienstvollen Tätigkeit von CJCRO fanden (und finden) weiterhin Freiwilligen-Camps statt. Berichtet wird darüber auf The Czernowitz Jewish Cemetery und in dem Blog von Christian Herrmann Vanished World.

Doch noch viel bleibt zu tun, bis der Jüdische Friedhof von Czernowitz seine Würde wieder gewonnen haben wird.


"One has to imagine Sisyphus as a happy man" So bezeichnet Christian Herrmann auf seinem Blog trefflich die Arbeiten auf den Friedhöfen der Bukowina.





(Die Fotos von der Aktion im September 2013 habe ich mit seinem frdl. Einverständnis übernehmen dürfen.)


Die verfallene Zeremonienhalle des Friedhofs
Gedenkmauer aus zerstörten Grabsteinen

Zur Ikonographie der Matseyves (Grabsteine)

Mit diesen Bildern schließe ich den Bericht über unsere Reise nach Galizien und in die Bukowina. Auch wenn's ein wenig theatralisch klingt, ich meine es genau so: Ein besserer Abschluß dieser Reise in die "Stadt der toten Dichter" ist für mich nicht vorstellbar.


So bleibt mir nur noch, einige meiner Quellen zu benennen, auf die ich bei der Reisevorbereitung gestoßen bin und die ich denjenigen ans Herz lege, die sich mit dem Gedanken tragen, eine solche oder eine ähnliche Reise zu unternehmen oder - vermessen genug - für die dieser Bericht möglicherweise Anregung ist, sich mit Czernowitz, der Bukowina und mit der brutal vernichteten Welt des Ostjudentums intensiver zu befassen.
Da diese Welt für immer erloschen und verloren scheint, ist es umso wichter, die Erinnerung an diese Blütezeit und ihr abruptes Ende wachzuhalten und zu verinnerlichen.

Köln, im Herbst 2013 © Friedrich J. Ortwein

Dieser Bericht liegt - zusammen mit dem Artikel "Czernowitzer Deutsch, gab es das?" - seit dem 15.3.2014 auch im Druck (DIN A5, gebunden, 34 Seiten, farbige Abbildungen)  vor. 
Dem Medium angepaßt wurden die beiden Reports leicht abgewandelt. 




Teil III:
Anhang: Touristisches, Quellen, Literatur


Touristisches
Flug: Dortmund nach Lemberg mit WizzAir
Bahn: Lemberg-Czernowitz-Lemberg mit der Ukrainischen Staatsbahn "UZ"
Transfers in Lemberg: InLviv
Hotel in Lemberg: George
Hotel in Czernowitz: Magnat Lux
Quellen
Ukraine
Ukrainische Staatsbahnen (e)
Travel to Ukraine C U.S.-Ukraine Foundation (e)Galizien und Bukowina
Galizien Das galiziendeutsche Archiv (d, e)
Galizien Artikel in "ZEIT ONLINE" (d)
Geschichte der Juden in der Bukowina, Aufsatzsammlung (d, e)
"Virtual Tourist" u.a. Verkehrsmittel in Czernowitz (e)
"Green Ukraine" Tourist Office Ivano-Frankivsk, zuständig auch für Czernowitz (d, e)

Czernowitz (Chernivtsi)

Bukowina - Illustrierter Führer durch die ... Reprint der deutschsprachigen Ausgabe von 1907 (mit Stadtplan) (d)
Chernivtsi - a shiver of the Austrian Empire Offizieller Cityguide (e)
Welt-Czernowitz Ein privater Stadtführer (d)
Czernowitz in Text und Bild (alte Postkarten) (d)
Chernivtsi in Wikipedia (e)
Czernowitz in Wikipedia (d)
Czernowitz, Bukowina "Wo Menschen und Bücher lebten" (d)
Cernivtsi auf der privaten Website "Tluste |Tovste" von D. Hykle (e)
Chernivtsi Offizielle Website der Stadt Czernowitz (ukr)
Czernowitz - Universität auf der UNESCO WELTERBE-Website: Residence of Bukovinian and Dalmatian Metropolitans (e)

Jüdisches Czernowitz

Czernowitz - Friedhof Über die Arbeit der Volunteers auf den Friedhöfen (e)
Persönlichkeiten aus Czernowitz" (d)
Czernowitzer Judentum ein Mythos am Rande Europas?" (d)
Czernowitz EHPES - Die Website der jüdischen Czernowitzer (e)
Czernowitz - Museum Das Czernowitzer Museum für jüdische Geschichte und Kultur der Bukowina (d, e)
Chernivtsi - Friedhof Jewish cemetery of Chernivtsi (Wikipedia) (e)
Czernowitz - "Vanished World" "Messages from the Underground"; Blog von Christian Herrmann (e)
Czernowitz and its Jewish Cemetery Blog von Christian Herrmann (d, e)
Czernowitz - Ghetto 1941 und viele andere Beiträge über die jüdische Bukowina; Blog von Edgar Hauster (e)
Czernowitz - Stadtplan mit eingearbeiteten Sehenswürdigkeiten (ukr)
Czernowitz - Jewish Places Jüdische Einrichtungen (Strassenbezeichnungen mehrsprachig)
Czernowitz-Blog von Edgar Hauster
Czernowitz, My Dream | The Museum of Family History
Cernowitz: Arbeiten auf dem Friedhof 2013; Blog von Christian Herrmann

Literatur in, aus und über Czernowitz
Merbaum, Selma Forschungen; Website von Marion Tauschwitz (d)
Meridian Czernowitz International Literature Corporation (d, e)
Zentrum GedankenDACH Ukrainisch-deutsche Kulturgesellschaft (d)
ZeitZug | TimeTrain über Cuernowitz; Artikelsammlung auf privater Website von Milena Findeis (d)
Czernowitz 1848-1918 Das kulturelle Leben einer Provinzmetropole; Buchrezension (d)
Czernowitz Geschichte einer untergegangenen Kulturmetropole; Buchrezension (d)
Meridian Czernowitz ein Literaturfestival stellt sich vor (Website der Robert-Bosch-Stiftung) (d)
Andrei Corbea Czernowitzer Geschichten: über eine städtische Kultur in Mittelosteuropa
Czernowitz als Mnemotop Geschichte einer untergegangenen Kulturmetropole(Website literaturkritik.de) (d)
Brenner, Hedwig Die Bücher von Hedwig Brenner im Hartung-Gorre Verlag (d)
Celan, Paul Artikel in "ZEIT ONLINE"; Briefwechsel mit seinem Jugendfreund Gustav Chomed (d)
Czernowitz, Stadt der versunkenen Kulturschätze Eine 200seitige Zusammenstellung (d)
Die Fotos sind zu 95% Eigenproduktion; die wenigen ergänzenden Fotos habe ich diversen, öffentlich zugänglichen und nicht mit einem Copyright versehenen Websites entnommen. Ich bitte um Nachsicht hierfür.
Zu meiner Homepage mit weiteren Reise-Reports

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