Holzkirchen in den Karpaten

Verborgene Schätze aus sechs Jahrhunderten
die phantastischen Holzkirchen in den polnischen und slowakischen Karpaten


Es geschieht häufig im Leben, daß ein Ausdruck, den man nie gehört oder ein Geschehnis, an dem man nie teil hatte, aus heiterem Himmel und urplötzlich, manchmal innerhalb weniger Stunden zwei- sogar mehrfach auftaucht. So geschah es mir mit den Holzkirchen.
Sie wurden der Grund für diese Reise. Holzkirchen aus dem 15. bis 18. Jahrhundert, 23 an der Zahl, aus diesen neun herausragend wegen ihrer Architektur, ihres  Erhaltungszustandes und ihrer Ausstattung und davon wiederum sechs mit der Auszeichnung UNESCO-Weltkulturerbe


Erzengel-Michael-Kirche von Binarowa

Mit diesem Bericht kann ich es mir nicht so leicht machen, wie mit den vorherigen. Ein wenig Aufklärung über die bereiste Region ist wohl von Vorteil. Das Logbuch, das ich uns als Reisebegleiter erstellt hatte, trägt den bezeichnenden Titel "Małopolska und Beskiden - Eine Reise ins Unbekannte".
Trotz unserer jahrzehntelang beruflich bedingten und privat gewollten, intensiven Reisetätigkeiten handelte es sich bei diesem Stück Europa um eine Terra Incognita, um unbekanntes Land. Es ist müßig über die Gründe dafür zu spekulieren. Touristisch war die Region bis zum Untergang des Sowjetischen Imperiums off limits. Aber möglicherweise war es auch nur die komplexe Geschichte der Region mit ihren ständig wechselnden Zugehörigkeiten, Herrschaftssystemen, Grenzverschiebungen, um auf ein dauerhaftes Interesse zu stoßen.
Bei den Reiseberichten über "Romanik in Aragon", "Gotik in Yorkshire" und "Die Sacri Monti Oberitaliens" habe ich seitens der Leser eine klare gedankliche Zuordnung in die Geographie Europas unterstellt. Was aber ist mit Boyken, Wald- oder Taubdeutschen, Beskiden und Lodomerien, mit Małopolska, Podkarpackie, Lemken, Russinen-Ruthenen, die Komańcza-Republik, Bieszczady?
Hand hoch, wer auch nur einen dieser Begriffe präzise zu definieren in der Lage ist.

Gehen wir's also gemeinsam an, in dem ich den Versuch unternehme, soweit der Platz reicht, einige Grundkenntnisse weiterzugeben. Darüber hinaus verweise ich auf viele der Links, die zu ausführlichen Artikeln führen.
In dieser Region siedelte der Ruthenische Stamm der Lemken, im Osten durchmischt mit Angehörigen des Stammes der Boyken. In den Wirren der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges entstanden hier für eine Übergangszeit die "Ruthenische Volksrepublik der Lemken" (Lemko Republic) und die "Republik Komancza" (Komańcza Republic).
Lemken und Boyken haben über Jahrhunderte die Landschaft geprägt. Ihre Holzbaukunst war legendär. Im Freilichtmuseum von Sanok (Museum der Volksbauweise) sind beeinduckende Beispiele dieser ganz speziellen Bauweisen, u.a drei Holzkirchen, zu besichtigen.

Beim Internet-Surfen nach Detailinformationen verlor ich mich auf den Seiten über Galizien, die Welt der Schtetl, die Ausdehnung des österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaates und landete in Małopolska, dem Kleinpolen der Lemken, Boyken und ihren Kirchenbauten.
Die Stabkirchen in Norwegen kenne ich. Daß es Ähnliches in Polen gab, war mir vollkommen neu. Ich war fasziniert. Die Bilder im Internet versprachen einiges: Das Alter der  Kirchen, der Umfang der Ausstattung und Ausmalung und die Lage in den Vorbergen der Karpaten versprachen ein Erlebnis der ganz besonderen Art.

Je tiefer ich in die Materie eindrang, umso begeisterter wurde ich. Und entdeckte zu meiner Freude, daß die Ruthenen, Lemken und Bojken beim Bau ihrer Kirchen weder an echten noch an fiktiven Grenzen haltgemacht hatten. Auf der Südseite der Karpaten, jenseits der Grenze im slowakischen Bezirk Svidnik, harrten weitere vierzehn Holzkirchen der Entdeckung!
Davon sind zwei, Bodružal und Ladomirová, UNESCO-Welterbe. Deshalb stellten sich die Fragen: Gibt es dort einen Grenzübergang? Darf man mit einem polnischen Mietwagen ins Ausland? Ist das überhaupt Schengen-Land? Kurz recherchiert, kurze Antwort: Ja, egal, ja.

Zentrum des Bezirks ist mit 7.000 Einwohnern Medzilaborce. Mit diesem Ort hat es eine ganz besondere Bewandnis (s. folgenden Link)

GESTATTEN: WARHOL, MEDZILABORCE

Also packten wir's an. 2013, vier Jahre nach der ersten Planung. Weil die Zeit reif war.
Unsere Reiseroute
Der erste Teil der Reise vom Flughafen Krakau bis Przemysl und der Schluß von Lachowice zurück nach Krakau und wie es uns unterwegs ergangen ist, läßt sich in "Mein ReiseBLOG" nachlesen. Hier stehen auch die Hinweise und Bewertungen der touristischen Leistungen.



Besucht haben wir diese 13 Kirchen

(1) Blizne (PL)

(2) Haczów (PL)

(3) Szalowa (PL)

(4) Bodružal (SK)

(5) Ladomirová (SK)

(6) Mirol'a (SK)

(7) Dębno (PL)

(8) Lachowice (PL)

(9) Oráwka (PL)

(10) Binarowa


(1) Blizne
Gotische Holzkirche "Allerheiligen" (rk), erbaut 2. Hälfte des 15. Jhd.; Wände und Gewölbe in Polychromie aus dem 16. und 18. Jhd.


(2) Haczów
Gotische Holzkirche "Mariä Himmelfahrt" (rk), erbaut um 1460; größte Holzkirche Europas und die älteste in Polen. Die polychromen Malereien stammen von 1494

(3) Szalowa
Holzkirche "Erzengel Michael" (rk), erbaut um 1736-1756; spätbarocker Blockbau mit den Grundriß einer Basilika

(4) Bodružal
Holzkirche "Hl. Bischof Nikolaus" (griech.-kath.), erbaut 1658; dreiteiliges Blockhaus; einmalige Ikonostase, da auf beiden Seiten bemalt; die Hinterseite ist die ursprüngliche Ikonostase aus dem 17. Jhd.


(5) Ladomirová
Holzkirche "Hl. Erzengel Michael" (griech.-kath.), erbaut 1742, ist dreiteilig, dreiräumig, dreitürmig; Ikonostase aus der Mitte des 18. Jhds.


(6) Mirol'a
Holzkirche "Schutz der Gottesmutter" (griech.-kath.), erbaut 1770; Ikonen der Hauptreihe aus dem ersten Drittel des 18. Jhd.


(7) Dębno
Lärchenholz-Kirche ohne Nägel, gotisch, Mitte des 15. Jhds.; die Farben der Gemälde sind seit 500 Jahren unberührt; abstrakte Malereien aus 33 Farben und mit 77, darunter persischen und chinesischen Mustern



(8) Lachowice
Pfarrkirche "St. Peter und Paul", 1789-1791; Innenwände mit figürlich-ornamentalen Malereien aus dem 19. Jhd.



(9) Orawka
erbaut 1650-1659, unterstützt durch Kaiser Ferdinand III als Bollwerk gegen den ortsansässigen, protestantisch-ungarischen Adel



(10) Binarowa
Gotische Holzkirche "Erzengel Michael" (rk), erbaut um 1500; Deckenmalereien vom Anfang des 16. Jh., Kapellen-Bemalung von 1655; Plastiken aus dem 14. Jhd.



Im Freilichtmuseum für Volksbaukunst in Sanok (Podkarpackie) befinden sich drei weitere kleinpolnische Holzkirchen, die wir natürlich nicht ausgelassen haben.


v.l.n.r.: (11) aus Ropki südl. Gorlice (PL), (12) aus Bączal Dolny bei Jaslo(PL); (13) aus Rosolin bei Czarna (PL)


Abb. 1 & 2: gotische Kirche "St. Nikolaus" aus
Bączal Dolny
von 1667 (rk); barocke Innenausstattung aus dem 17.-19. Jhd.
Abb. 3 & 4: Lemken-Kirche aus Ropki von 1801 (griech.-kath.); Ikonostase von 1891; Die Kirche besteht besteht aus drei Teilen, von dem jeder mit einem separaten Dach und Turm versehen ist.


* Was uns unangenehm aufgefallen ist, daß viele Sehenswürdigkeiten zu normalen Tageszeiten geschlossen sind. Wenn schon UNESCO-Weltkulturerbe, dann sollten die Kirchen auch zugänglich sein.
* Wenn man des Polnischen und Slowakischen nicht mächtig ist, dann benötigt man zum Entziffern der Hinweisschilder einen Dolmetscher. Denn auf beiden Seiten der Grenze, in Polen wie in der Slowakei, sind die Erläuterungen ausschließlich in der Landessprache. Man kann nur versuchen, sich einen Reim zu machen.


Hinweis an der Kirche von Blizne
* Wenn eine Telefonnummer angegeben ist, dann meldet sich am anderen Ende der Leitung der "Schlüsselwart", der aber keine Sprache außer seiner eigenen spricht.
* Diese mangelnde Weltläufigkeit, dieser (un)gewollte Verzicht auf touristische Mindeststandards können jedoch nicht der Grund sein für ein rares Phänomen: Während der gesamten Reise, Krakau ausgenommen, haben wir - bis auf eine Busladung Thüringer bei Ladomirová - keine mitteleuropäischen Fremdsprachen gehört, kein Deutsch, kein Englisch,
kein Französich, weder Italienisch noch Holländisch, und wir haben keine ausländischen Kennzeichen und keine sonst allgegenwärtigen Asiaten gesehen.

!!! Dabei stimmt die Infrastruktur, das Preis-Leistungs-Verhältnis ist außerordentlich günstig, die Sehenswürdigkeiten haben Weltrang. Was in drei Teufels Namen hält Touristen davon ab, dieses - zugegebenermaßen sehr abgelegene - wunderschöne Stück Europa kennenzulernen?

Wie es uns ergangen ist?
Anders als einem jungen, polnischen Paar, das wir vor Blizne trafen und das mehr entäuscht als verärgert erzählte, daß dies nun erst die dritte von zwölf Kirchen sei, deren Inneres sie besichtigen konnten. Wir haben viel Glück gehabt:


Blizne war im ersten Anlauf geschlossen aber am nächsten Tag, beim zweiten Versuch, kamen wir rein.
In Mirol'a haben wir im strömenden Regen den Schlüsselwart zu Hause abholen müssen
Frau Kasimirówa in Bodružal verstand uns am Telefon nicht (oder wir sie nicht), deshalb sind wir weitergefahren nach
Ladomirová, wo just in diesem Moment die Reisegruppe aus Thüringen die Kirche besichtigte, um anschließend nach
Bodružal zu fahren. "Dürfen wir uns anschließen?" "Na klar." So kamen wir doch noch dorthin.
In Haczów war's die Küsterin, die gerade den Blumenschmuck neu richtete
und

in Binarowa eine polnische Gruppe mit privater Führung, für die die Kirche geöffnet worden war.
In Szalowa kamen wir (nur oder wenigstens) in die Vorhalle.
In Dębno schließlich nahmen wir - ein besonders intensives Erlebnis - an der Sonntagvorabendmesse teil.
Orawka erreichten wir während der sonntäglichen Hl. Messe, nach der die Kirche für die Gläubigen geöffnet blieb.
Doch an der letzten Station, in Lachowice, verließ uns das Glück. Verschlossen und verrammelt und nur ein Spalt, um ein Foto hindurch zu machen. Schade, schade.

Das Fazit fällt nicht schlecht aus. Wenn wir daran denken, uns wäre es wie den jungen Polen ergangen ...



Ein paar Dinge möchte ich mit auf den Weg geben

Photographieren: Im Inneren der Kirchen ist es wegen der wenigen, kleinen und in großer Höhe angebrachten Fenster in der Regel sehr dunkel. Blitzlicht ist generell verboten. Die benötigte Belichtungszeit überfordert selbst gute Digitalkameras. Das traurige Ergebnis sind verwackelte Bilder. Deshalb mein Rat: Stativ mitnehmen.

Mietwagen und Straßenverkehr: Bei der Reservierung aufpassen, welche Vermieter eine Altersbegrenzung (nach oben!) in ihren AGB stehen haben.


Radarfallen! Gewarnt sei vor diesen, die auch auf dem platten Land in unbekannter Dichte für Umsatz sorgen. Anders als bei uns muß man darauf gefaßt sein, daß der Vorwarnung "Achtung Radar" mit Sicherheit ein Meßgerät folgt.

Diebstahl-Gefährdung des Miet-PKWs haben wir zu keiner Zeit erkennen können.
Wer klaut auch schon einen Chevrolet mit polnischen Kennzeichen?


Von wegen "Polnische Wirtschaft"
Selten auf all unseren Reisen haben wir Vorurteile so umfassend und schnell abgebaut, wie auf dieser Reise.
* hübsche, gepflegte Dörfer und Kleinstädte
* saubere Innenstädte ohne Grafitti und Unrat
* allen sprachlichen Widrigkeiten zum Trotz nette, hilfsbereite, aufgeschlossene Menschen
* gute Straßen mit präziser Beschilderung
* sehr gute Unterkünfte zu sehr niedrigen Preisen
 * gutes Essen - so gar nicht die sprichwörtliche, von Gänseschmalz triefende "polnische Küche"



Schlußbemerkung

Falls es mir gelungen sein sollte, Interesse zu wecken für die großartige Holzarchitektur des Karpatenraums, dem sei besonders die Website über die "Kleinpolnische Holzarchitektur-Route" empfohlen.


Mangels spezifisch-detaillierter Literatur habe ich mir zur Vorbereitung aus den englsch- und deutschsprachigen Wikipedia-Seiten diesen Reiseführer zusammengestellt und (direkt aus den Wikipedia-Seiten heraus) für 13,20 € ausdrucken lassen. (So geht's: 1. beliebige Wikipedia-Seite öffnen, 2. in linker Spalte auf "Drucken/Exportieren" gehen, 3. "Buch erstellen" aktivieren; der Rest ist selbsterklärend)


Die Reise fand im Mai 2013 statt

Köln, den 11.6.2013
© Friedrich J. Ortwein

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